Streifzug durch die Eisenbahngeschichte in Hamm

Bereits einige Jahre vor dem Bau der ersten deutschen Eisenbahn bemühte sich Friedrich Harkort 1830 um die Planung einer Eisenbahnstrecke im westfälischen Raum nach Minden. Über die Weser sollte der Transport wichtiger Güter zu den deutschen Seehäfen möglich sein, da Holland die Rheinschifffahrt mit sehr hohen Zöllen belastete. Der Westfälische Landtag lehnte eine finanzielle A Beteiligung im Jahre 1832 allerdings ab. Trotzdem wurden diese Ideen weiterverfolgt.

Im Jahre 1843 konstituierte sich die Köln-Mindener Eisenbahngesellschaft. Nach mehreren Varianten der Linienführung fiel 1845 die Entscheidung für die Strecke über Hamm. Hier bestand ebenfalls eine günstige Anschlussmöglichkeit nach Münster. Nachdem die Lippebrücken 1846 fertig gestellt waren, erreichte am 2. Mai 1847 der erste Zug die Stadt Hamm. Bereits am 15. Oktober des gleichen Jahres erfolgte die Freigabe der Strecke nach Minden. Damit war gleichzeitig eine Eisenbahnverbindung zur Preußischen Hauptstadt Berlin gewährleistet. Im Mai 1848 ging die Strecke nach Münster in Betrieb.

Hamm war zum ersten Knotenbahnhof in Westfalen aufgestiegen. Die Königlich Westfälische Eisenbahn besorgte am 4.Oktober 1850 die Inbetriebnahme der Verbindung über Soest nach Paderborn. Durch die Bergisch-Märkische Eisenbahn erfolgte schließlich die Anbindung über Unna nach Hagen und Wuppertal im Jahre 1866. Die verkehrsgünstige Drehscheibe Hamm sorgte für bemerkenswerte Industrieansiedlungen, welche sehr frühzeitig einen Gleisanschluss erhielten. Zu nennen sind hier u. a. die Firmen Cosack & Co. sowie Hobrecker, aus denen später die Westfälische Union (heute Thyssen) und die Westfälische Drahtindustrie (heute Klöckner) hervorgingen. Bereits in den Jahren 1854 bzw. 1856 waren sie auf der Schiene erreichbar.

Das Anwachsen des Eisenbahnbetriebes bei der Bündelung dieser fünf Strecken-Äste verbunden mit dem Lok-Wechsel fast aller Züge führte immer mehr zu erheblichen Problemen, da die Gleisanlagen nicht ausreichten. Bereits 1883 – nach der Verstaatlichung der Privatbahnen und ihrer Übernahme in die Preußische Staatseisenbahnverwaltung – plante man eine wesentliche Erweiterung des gesamten Bahnhofsbereichs einschließlich der Anlage eines Verschiebebahnhofs. Diese Erweiterung erwies sich schon nach ihrer Fertigstellung als vollkommen unzureichend.

Im Jahre 1911 begann ein weiterer, grundsätzlicher Umbau der Hammer Bahnanlagen. Neben der Erweiterung musste der Gleiskörper auf ein höheres Niveau zwischen 2 und 4 Metern gebracht werden. Diese Maßnahmen, auch während des 1. Weltkrieges weitergeführt, konnten im Jahre 1929 zum Abschluss gebracht werden. Das Bahnhofsgebäude in der heutigen Form entstand um 1920 als Ersatz zum alten Inselbahnhof. Der zweiseitige Verschiebebahnhof - für den West-Ost bzw. Ost-West-Verkehr ausgelegt - zählte mit seiner Technik und einer Abfertigungskapazität von täglich 10 000 Wagen zu den größten und modernsten Anlagen seiner Art in Europa. Er galt als Sammel- und Verteilerstelle des ein- und ausgehenden Güter-Verkehrs im Revier in Richtung Nord- und Ost.

Einen weiteren Aufschwung im Eisenbahnverkehr brachten die während des ersten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts abgeteuften Zechen De Wendel / Heinrich-Robert (1904), Radbod (1906, stillgelegt 1990) und Sachsen (1915, stillgelegt 1976). Ferner nahm die Ruhr-Lippe-Kleinbahn ihre Schmalspurstrecken nach Soest und Lippborg in dieser Zeit in Betrieb.

Die Aufwärtsentwicklung des Bahnhofs wurde durch den Kriegsausbruch 1939 jäh beendet. Wegen seiner strategischen Bedeutung war er ab 1943 schwersten Angriffen ausgesetzt, die bei Kriegsende einen Zerstörungsgrad von 80 Prozent erreichten. Die neue politische Situation bewirkte eine Änderung der Verkehrsströme. Sie verliefen wegen der Teilung Deutschlands hauptsächlich in Nord-Süd-Richtung. Etwa 20 Prozent der zerstörten Anlagen wurden nicht mehr aufgebaut. Bereits im Sommer 1945 konnte der erste Zugverkehr überwiegend im Güterbereich wieder aufgenommen werden, Bis alle betrieblichen Erschwernisse ausgeräumt waren, vergingen weitere acht Jahre.

Daran anschließend konnte eine Modernisierung im Verkehrsfluss und bei den Traktionsarten verstärkt ins Auge gefasst werden. Ein markantes Datum war der 10. Mai 1957. Nach Fertigstellung der elektrischen Fahrleitungen – zunächst noch im Inselbetrieb - von Düsseldorf nach Hamm machte ein Exemplar des Triebwagens ET 30 seine Probefahrt. Zum Sommerfahrplan des gleichen Jahres konnte der elektrische Nahschnellverkehr im Ruhrgebiet aufgenommen werden.

In dieser Zeit drängte die nunmehr in Hamm beheimatete Diesellok der Baureihe V 200 die bis dahin dominierenden Dampflokomotiven aus dem hochwertigen Reisezugverkehr. 1959 kamen die ersten Diesel-Rangierlokomotiven nach Hamm und besorgen auch auf diesem Feld den Traktionswechsel. In den 1960er Jahren wurden fast alle übrigen Strecken auf elektrischen Betrieb umgestellt. Als letzter folgte der Abschnitt über Soest und Paderborn nach Kassel im Dezember 1970.

Im Zuge weitergehender Rationalisierung erhielt auch Hamm 1983 die Dr-Stellwerks-Technik. Mehrere mechanische bzw. elektromechanische Stellwerke im Bahnhofsbereich mussten einer neuen Anlage Platz machen, die auch einige Strecken mit überwacht. Eine wesentliche Aufwertung erfuhr Hamm 1984. Das IC-Netz der DB erhielt hier einen neuen planmäßigen Haltepunkt. Dadurch wurde eine wesentlich bessere verkehrsmäßige Anbindung an alle deutschen Großstädte in sämtlichen Richtungen gewährleistet. Zu diesem Zeitpunkt verkehrten in Hamm etwa 370 Reisezüge täglich. Als neue Zuggattung kamen ab 1989 die Interregio-Züge hinzu, welche die Mittelzentren miteinander verbinden sollten. Hamm wurde bis zur Aufgabe dieser Zuggattung 2002 Wende- beziehungsweise Haltepunkt verschiedener IR-Linien zwischen Duisburg und Bebra (nach 1990 weitergeführt nach Erfurt und Weimar), Aachen, Hannover, Frankfurt/M und Münster. Zum Sommerfahrplan 1994 hielten zum ersten ICE-Züge der Linie Köln – Berlin in Hamm, seit 1998 werden ICE 2 – Flügelzüge in Hamm in Richtung Köln getrennt beziehungsweise in Richtung Berlin zusammengeführt.

Seit Gründung der Deutschen Bahn AG im Jahre 1994 ist der Nahverkehr immer weiter ausgebaut worden. Im Jahre 2004 hielten in Hamm so viele Regionalzüge wie noch nie zuvor. Das Bahnhofsgebäude wurde im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Emscherpark (IBA) ab 1997 umfangreichen Sanierungs- und Umbauarbeiten unterzogen und zeigt seitdem auch wieder einen Großteil seiner ursprünglichen Architektur.

Ein neuer Anblick im Hammer Bahnhof sind die FLIRT-Triebwagen der Eurobahn, die seit dem Winterfahrplan 2008/2009 u. a. auf den Strecken Münster – Hamm – Paderborn und Münster – Hamm – Bielefeld eingesetzt werden. Im Gegensatz zur Entwicklung im Personenverkehr nahm die Bedeutung des Verschiebebahnhofs zum Teil rapide ab. Nach einer kurzen Scheinblüte zu Beginn der 1970er Jahre, als mit einer Tagesleistung von 8457 Wagen fast wieder Vorkriegsverhältnisse erreicht wurden, ging die Auslastung der Gleisanlagen auf 50 Prozent zurück. 1997 beschloss die Deutsche Bahn massive Rückbaumaßnahmen, zum 1. Januar 1999 wurde der Hammer Verschiebebahnhof in seiner bisherigen Form geschlossen. Heute ist nur noch ein Ablaufberg für regionale Zielbahnhöfe in Betrieb. Vom einstmals größten Verschiebebahnhof Europas ist nur ein regionaler Zugbildungsbahnhof mit einem maximalen täglichen Aufkommen von 1400 Wagen übrig geblieben.

Seit 2008 benutzt die Firma Waggonbau Kiffe die Anlagen des ehemaligen Wagenwerkes II (Güterwageninstandhaltung) im Lohhauserholz. Seitdem werden hier im steigendem Umfang Privat-Güterwagen wieder ausbessert.

Einige abschließende Worte sollen noch dem Bahnbetriebswerk Hamm gewidmet werden. Bei der Entwicklung des Eisenbahn-Knotenpunktes sind Mitte des vergangenen Jahrhunderts die ersten Remisen für die Unterbringung der vorzuhaltenden Lokomotiven errichtet worden. Im Rahmen der Bahnhofserweiterung baute man in den 20er Jahren zwei voneinander getrennte große Rechteckschuppen, von denen einer die Maschinen des Personenverkehrs (Hamm P) und der andere mehr die Güterzug- oder Verschub-Loks zu betreuen hatte (Hamm G). Neben den damals dominierenden Länderbahntypen erhielt das Bw Hamm ab 1926 als erste moderne Einheits-Lok die Schnellzugmaschine der Baureihe 01. Weitere Neuzugänge an modernen Loks sind erst ab 1939 im Güterverkehr zu verzeichnen, wo neben der Baureihe 41 die Güterzuglok der Baureihe 50 auftaucht, welche Hamm erst 1975 verließ. Die Bedeutung dieses Bahnbetriebswerkes lässt sich mit der Zahl von mehr als 110 beheimateten Lokomotiven und etwa 1000 Bediensteten im Jahre 1957 ablesen. Davon standen allein 30 für den Rangier- und Verschubbetrieb zur Verfügung. Als Paradepferde galten die drei schwersten vorhandenen Schnellzuglokomotiven der Bundesbahn, die Baureihe 05, welche nach gründlicher Aufarbeitung von 1950 bis 1958 u. a. im F-Zugverkehr ihren Dienst taten.

Als Ablösung erschien die Diesellokomotive der Baureihe V 200, welche bis 1969 in großer Zahl hier beheimatet war. Gleichzeitig wurde das Bw Hamm P für die Unterhaltung von Dieseltriebfahrzeugen umgebaut, Dampflokomotiven betreute nach 1960 ausschließlich das Bw Hamm G. Unscheinbar und doch 50 Jahre aus dem Verschub nicht wegzudenken, war die alte preußische Tenderlok der späteren Baureihe 94. Die letzte ihrer Gattung ging hier im Dezember 1973 in den Ruhestand. Das Bw Hamm beendete im Oktober 1975 die Unterhaltung eigener Dampflokomotiven. Die letzten drei Exemplare der Baureihe 44 wurden am 31. Mai 1976 verabschiedet.

Bis weit in die 1980er Jahre hinein blieb das Bw Hamm die wichtigste maschinentechnische Dienststelle in der Bundesbahndirektion Essen. Neben dem elektrischen Triebwagen ET 30 gehörten zu dieser Zeit die Rangier- oder Verschub-Lokomotiven V 60 und V 90 einschl. Kleinloks zum Betriebsbestand. Hinzu kam für einige Jahre der Lufthansa-Airport-Express (Baureihe 403) bis 1984. Im gleichen Jahr mussten alle ET 30 (430) abgestellt werden. Der TEE-Dieseltriebwaren der Baureihe VT 11.5 (601), dessen Antrieb dem der V 200 sehr ähnlich ist, hatte ab 1979 in Hamm eine Bleibe für den Reisebüro-Turnus-Verkehr gefunden. Die Ausmusterung erfolgte ab1988, jeweils ein betriebsfähiges Exemplar beider Garnituren blieb bis 2000 in Hamm erhalten. Sie wurden von hier aus für Sonderfahrten unter Federführung des Verkehrsmuseums Nürnberg vorgehalten.

Als Heimatdienststelle betreute Hamm für den Rangier- und Verschub-Dienst eine Reihe V 60 (260, später 360), V 90 (290) sowie Kleinlokomotiven und mehrere Türmtriebwagen für die Oberleitungsunterhaltung. Durch die Übernahme der Rangierlokbestände der aufgelösten Bw Bielefeld und Münster war die Existenz des Bahnbetriebswerkes Hamm vorerst gesichert. Am 31. März 2001 wurde in Hamm die Triebfahrzeugbeheimatung und –unterhaltung aufgegeben. Die Lokeinsatzstelle von DB-Railion im ehemaligen Bw Hamm G blieb aber noch erhalten. Die Eurobahn errichtet 2008 eine Werkstatt zur Pflege der FLIRT-Triebwagen in Hamm-Heessen, gelegen an der Köln-Mindener Strecke in der Nähe des Ökozentrums. welche außer vier Wartungsgleisen auch eine Waschanlage bereithält.



Literatur:

Meinold, Markus:
Bahnhof Hamm (Westf.). Die Geschichte eines Eisenbahnknotens. Hövelhof 2004.

Perrefort, Maria (Hg.):
Alle Gleise führen nach Hamm. Hamm 1997

Kretschmann, Heinz Werner:
Eisenbahnknotenpunkt Hamm. Entstehung und Entwicklung bis 1927. Jahrbuch für Eisenbahngeschichte 1987, S. 5-54.

Buchholz, Hanns Jürgen:
Der Eisenbahnverkehrsknoten Hamm (Westf.)-Entwicklung und Wandlung in seiner Bedeutung; in: Zink, Herbert (Hg.): 750 Jahre Stadt Hamm. Hamm 1976.